Viele Schweizerinnen haben Vorbehalte gegen die Konzern-Verantwortungs-Initiative (KVI), weil sie wirtschaftliche Nachteile für die Schweiz befürchten.
Symptomtisch für diese Angst ist der Artikel des Ethikprofessors Markus Huppenbauer im Tagesanzeiger vom 20.11. 2017 ("Eine Verrechtlichung dient niemandem"). Er schreibt: "[die Firmen] werden sich ganz einfach aus Gebieten, in denen mögliche Rechtsrisiken lauern, zurückzuziehen. Die Investitionen werden den dort lebenden Menschen fehlen. Firmen werden zudem alles daran setzen, eventuelle Klagen mit hochbezahlten Anwälten zu ihren Gunsten zu entscheiden oder zu verzögern." Er suggeriert sogar, die Initiative sei kontraproduktiv, weil sie eine "Kultur des nachhaltigen Lösens von Problemen zerstören" würde, während das Vertrauen in die moralische "Selbstverpflichtung" der Firmen zu viel besseren Resultaten führe.
Das ist nun ein Widerspruch in sich: Wenn die von Huppenbauer beschworene "freiwillige Selbstverpflichtung" der Firmen nur halbwegs funktionieren würde, so würde die befürchteten Probleme nicht in relevantem Ausmass eintreteten. Und wenn sie doch eintreten, zeigt dies, dass die Firmen eben im Wesentlichen nicht verantwortlich handeln, sondern in erster Linie wirtschaftliche Ziele verfolgen.
Und sie können auch gar nicht anders, wie Peter Ulrich, emeritierter Professor für Betriebswirtschaft in Deutschland und Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, in seiner Replik vom 21.11. 2017 ("Der Markt ist ethisch blind") ausführt. Er erklärt: "Gewiss kann den Unternehmen kaum ein Handeln zugemutet werden, das ihnen im Wettbewerb schaden könnte. Das Problem ist deshalb auf übergeordneter Ebene anzupacken". Daher seinen Rechtsnormen vonnöten, "die dafür sorgen, dass im marktwirtschaftlichen Wettbewerb die anständigen Akteure nicht die Dummen sind, und automatisch zu den Gewinnern gehört, wer sich unethisch verhält." Genau diese Rahmenbedingungen liefert die Konzernverantwortungs-Initiative, und dieser Zusammenhang ist zentral.
Wenn Huppenbauer weiter schreibt, viele der betroffenen Firmen hätten "gute Beziehungen mit Nichtregierungsorganisationen vor Ort und in der Schweiz aufgebaut, um die oft sehr komplexen Probleme zu lösen", dann suggeriert er damit ein Insiderwissen, das ihm aber ganz offensichtlich abgeht. Denn er ist der Meinung, dass die Enthüllungen der Paradise Papers nichts mit den Problemen zu tun hätten, die der geforderte Verfassungsartikel angehen wolle. Hätte er sich eingehender mit der Problematik beschäftigt, so wüsste er, das es sich dabei sogar um eines der Kernprobleme handelt, die angegangen werden sollen.
Dass sich gewisse Firmen sich so verhalten wie Huppenbauer dies vorhersagt, mit gewissen finanziellen Einbussen für die Schweiz, ist gut möglich. Aber man darf nicht vergessen, dass die Konzernverantwortungsinitiative auf fundamentale Probleme abziehlt, die weltweit zu zunehmendem Elend führen, und die sich langfristig auch in der Schweiz destruktiv auswirken können, weil sie Menschenrechte und Demokratie unterminieren. Und es ist wichtig zu sehen, dass die Schweiz mit ihren Bemühungen nicht alleine dasteht. Der UNO-Menschenrechtsrat hat vor sechs Jahren einstimmig «Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte» deklariert und fordert deren Umsetzung in allen Ländern. Es wäre bedauerlich, wenn eine der weltweit wichtigsten Rohstoffdrehscheiben, die Schweiz, da nicht entschieden mitmacht.